DEFA-Studio für Spielfilme 1989
107' - 35 mm, Farbe, 1:1,37
Premiere 7.6.1990, Berlin, Kino
International
mit Peter Zimmermann, Arianne Borbach, Dorothea Rohde, Mario Klaszynski, Florian Martens, Sibylle Ruge, Rex Gülzow,
Lothar Bisky, Bärbel Bolle, Beate Hanspach, Jürgen Clasen, Dorothea Moritz, Katja Erben u.a.
Szenarium: Henry Schneider
Regie und Drehbuch: Dietmar Hochmuth
Kamera: Dieter Chill
Das Mädchen aus dem Fahrstuhl (Spielfilm) IMDb
Standfoto Waltraut Pathenheimer
DEFA-Studio für Spielfilme 1989/90
95' - 35 mm, Farbe, 1:1,37
Premiere 11.1.1991, Berlin
mit Barbara Sommer, Rolf Lukoschek, Karin Gregorek, Monika Lennartz, Martin Seifert u.a.
Drehbuch (nach eigenem Roman): Gabi Herzog
Regie: Herrmann Zschoche Kamera: Dieter Chill
Im schönsten Wiesengrunde
(Dokumentarfilm)
43' - Betacam, Farbe, 1:1,37
Peter Badel & Dieter Chill 1991
Schnitt: Sven Czimmek
Ich bin mit meiner Angst allein
(Dokumentarfilm)
ÖFilm Berlin 1992
45' - Betacam, Farbe, 1:1,37
Stephan Suschke & Dieter Chill 1992
Vokzal - Bahnhof Brest
(Dokumentarfilm) IMDb
ÖFilm Berlin 1993
91' - 35 mm, s/w, 1:1,37
Ton: Uve Haußig
Schnitt: Karin Gerda Schöning
Redaktion (WDR): Werner Dütsch
Buch und Regie: Gerd Kroske
Kamera: Dieter Chill
Tödlicher Duft (TV-Movie) IMDb
Scorpio Production 1995
90' - 35 mm, Farbe, 1:1,37
EA: 24.2.1997, 20.15 Uhr (Pro Sieben)
mit Sebastian Koch, Susanna Simon, Petra Kleinert, Gerd Preusche, Lara Körte, Peter Prager, Werner Karle jr., Peter Wohlfeil, Florian Martens, Rudolf Kowalski und Pjotr Olev
Drehbuch: Peter Scheibler, Michael Juncker
Regie: Jan Ruzicka
Kamera: Dieter Chill
Galera (Dokumentarfilm) IMDb
D.U.R.A.N. Film
+ Caligari Films Paris 1996
101' - 16/35 mm, Farbe, 1:1,37
Ton: Uve Haußig, Patrick Moritz
Schnitt: Karin Gerda Schöning
Redaktion (WDR): Werner Dütsch
Buch und Regie: Gerd Kroske
Kamera: Dieter Chill
Kehrein, kehraus (Dokumentarfilm) IMDb
realistfilm mit ZDF/3sat 1996/97
70' - 16mm blow up 35 mm, Farbe, 1:1,37
Ton: Uve Haußig
Schnitt: Karin Gerda Schöning
Musik: Todenhöfer & Mette
Co-Autorin, Mitarbeit: Manuela Martinson
Buch und Regie: Gerd Kroske
Kamera: Dieter Chill
Kehraus, wieder (Dokumentarfilm) IMDb
Szenenfoto Josephine Links
realistfilm mit MDR 2006
100' - Digital-Video > 35 mm, Farbe, 1:1,66
Ton: Jens Pfuhler
Schnitt: Karin Gerda Schöning
Musik: Klaus Janek
Co-Autorin, Mitarbeit: Manuela Martinson
Buch und Regie: Gerd Kroske
Kamera: Dieter Chill
Hella Hirsch und ihre Freunde
(Dokumentarfilm)
Barbara Kasper & Lothar Schuster 2007
35' - Digital-Video, Farbe, 1:1,37
Studioton, Mischung: Gregor Schuster
Produktion, Buch, Regie, Ton,
Schnitt:
Barbara Kasper & Lothar Schuster
Kamera: Dieter Chill
Fundstücke (veröffentlichte Texte zu Filmen) unvollständige Zusammenstellung
Motivsuche \ Kritiken aus DVD-Booklet \\ entdeckt 2017
Gelungene Komödien sind eine Rarität. Motivsuche ist eine. Sie macht sich lustig über die kleinen Geister und Fassadenschlauen, die sich für große Lichter halten und nichts zuwege bringen. Motivsuche besticht durch treffsicheren Spott − der sich auch in vielen, vielen wohldurchdachten szenischen Details und Seitenhieben zeigt − und ganz besonders durch seine Darsteller.
Birgit Galle: "Wenn das Leben nicht will wie der Film", ND, 1.6.1990
Dietmar Hochmuth inszenierte Motivsuche mit Ironie und Sarkasmus als Selbstporträt der Enddreißiger, die in den 60ern aufgebrochen waren und mit der Realität der 70er und mit sich selbst nicht zurechtkamen.
Europäische Sommerakademie "Entwicklungen von Film und TV kritisch reflektieren", Neue Zeit, 26.6.1990
Über die Parodie der kleinbürgerlichen Verhältnisse hinaus weist der Film auf ein inneres Seinsdefizit hin. In Hochmuths jüngster Arbeit Motivsuche (1990) wird der Wirklichkeitsverlust zum existentiellen und politischen Thema. Die Darstellung der Krise, die ein bislang angepasster Dokumentarfilmregisseur erleidet, markiert eine Grube, in die viele Intellektuelle aus Gewohnheit und Müdigkeit geraten sind und aus der sie doch, daran lässt Hochmuth keinen Zweifel, herausklettern müssen.
Hans-Jörg Rother: "Defizite des inneren Seins, Dietmar Hochmuths Filme im Berliner Arsenal", Neue Zeit, 7.8.1991
Weiteres Material zu
Motivsuche aus Berlin-Film-Katalog (Projekt einer Berlin-Film-Datenbank) von Jan Gympel - siehe
PDF.
Das Mädchen aus dem Fahrstuhl \ Kritik von 1991 \\ entdeckt 2015
Herrmann Zchoche ist ein Regisseur, der sich immer wieder der Probleme junger Leute in der DDR angenommen hat. (... In) "Karla" ... ging es um die Schwierigkeiten beim Aussprechen der Wahrheit in der Schule. Zschoches jüngster Film "Das Mädchen aus dem Fahrstuhl", nach der gleichnamigen Erzählung von Gabriele Herzog, demonstriert jetzt, dass sich in dieser Beziehung bis zuletzt in den Schulen der DDR nichts geändert hatte.
Frank hält nicht die Schnauze, wie ihm seine Mutter rät. Der 16jährige Sohn aus guten Hause, wie man so schön sagt, klagt seine Schule offen des Verstoßes gegen die in der DDR doch proklamierte Chancengleichheit an. Seine Freundin Regine darf nämlich wegen mangelhafter Noten nicht Kindergärtnerin werden. Dabei befähigt sie für diesen Wunschberuf schon die ständige alleinige Betreuung dreier jüngerer Geschwister. Die Mutter, Hilfsarbeiterin, liegt im Krankenhaus, die unterschiedlichen Väter kümmern sich nicht um ihre Kinder. Franks erste Liebe zu dem Mädchen, das er zuerst im Fahrstuhl traf, ist auch seine erste Begegnung mit einem ganz anderen sozialen Milieu.
Wie schon manch frühere DEFA-Filme macht Zschoches "Das Mädchen aus dem Fahrstuhl" noch einmal deutlich, dass es auch in der DDR ein oben und unten gab. Franks Engagement für die sozial benachteiligte Mitschülerin hat Folgen: Damit ist für den begabtesten Mathematiker der Klasse auch der Weg auf die Erweiterte Oberschule und zum Studium versperrt. Aber schließlich ist Franks Vater Kombinatsdirektor und hat einen Professoren-Freund in Dresden. Und nach anfänglichem Widerstreben entscheidet sich der Sohn doch für die spätere Karriere, gegen seine Überzeugungen und seine Liebe.
Herrmann Zschoches Film wird mit diesem bitteren Ende zu mehr als einem Blick zurück im Zorn auf die DDR. Anpassung und die Kluft zwischen oben und unten gibts auch hier und heute. Empfehlung für "Das Mädchen aus dem Fahrstuhl".
Im schönsten Wiesengrunde \\ erschienen 2019
Schmiedewalde, ein Straßendorf in Sachsen − wie in dem titelgebenden Volkslied im stillen Tal gelegen und von weiten Wiesen umgeben. Im Mai 1991 interviewten Peter Badel und Dieter Chill die Bewohner des Dorfes, um festzuhalten, wie sich ihr Leben nach der Wiedervereinigung verändert hat. Schnell versteht man, dass die Idylle, mit den alten Häusern und der schönen Natur, trügerisch ist. Denn für fast alle hier hatte sich binnen weniger Monate alles verändert, waren die Grundlagen, auf denen ihr Leben ruhte, verlorengegangen: Der ehemalige Heizer kann von seiner Rente nicht mal den Zahnarzt bezahlen; in der mehrköpfigen Familie ist es nur noch der erwachsene Sohn, der Arbeit hat, allerdings in einer ABM-Maßnahme. Der jungen Frau mit zwei Kindern ist der Mann in den Westen davongelaufen, vorher hat er noch das gemeinsame Sparkonto leergeräumt. Derweil hat ein älterer Mann die Wände in seinem Haus neu dekoriert, Militaria aus der NS-Zeit hängen dort. Jugendliche, die vor der Disko warten, tragen neu erstandene Bomberjacken oder erzählen, dass sie nach der Ausbildung für einen Job in die alten Bundesländer ziehen. Was − in Zahlen und Fakten gesprochen − während der Transformationszeit in Ostdeutschland passiert ist, dazu lässt sich mittlerweile allerhand nachlesen. Wie es sich angefühlt hat, plötzlich ohne Einkommen und gesellschaftliche Anerkennung dazustehen, kann man mit den Aufnahmen aus im schönsten wiesengrunde besser verstehen; ebenso, wie es dazu kam, dass rasch Identitäten und Lebensentwürfe gesucht wurden - im Westen oder rechts, mit denen Scheitern und Ohnmacht vielleicht verhindert werden könnten. Rette sich, wer kann.
Ich bin mit meiner Angst allein \\ erschienen 1992
Ich bin mit meiner Angst allein. / Sie kratzt sich durch die Herzenswand. / Sie kratzt an meinem Restbestand. / Sie kratzt sich tief ins Unbekannt. / Sie kratzt und will nicht ruhig sein. / Ich bin mit meiner Angst allein. "Die DDR hat mir den Knast gebracht, die Bundesrepublik das Irrenhaus, was ist der Unterschied?" − die Bilanz einer deutschen Biographie. Der Mann, der das äußert, ist Anfang sechzig. Vor vierzig Jahren schien sein Leben verheißungsvoll: er war Schüler Brechts an der Akademie der Künste und Hospitant am Berliner Ensemble, seine Gedichte wurden in den besten Zeitschriften veröffentlicht. 1953 wurde er aufgrund einer Denunziation verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Brecht setzte sich für Martin Pohl ein, er wurde nach zwei Jahren entlassen. Pohl verließ Ostberlin, es folgte eine Odyssee durch die Schweiz und West-Deutschland. Der Dokumentarfilm von Stephan Suschke und Dieter Chill verfolgt Martin Pohls Leben im Alltag und in Gesprächen. Entstanden ist das Dokument eines aufrichtigen Lebens. Besitz war für ihn nie wesentlich. Martin Pohl, Meisterschüler Brechts, in der DDR ins Gefängnis gekommen, blieb nach seiner &Uöuml;bersiedelung in den Westen ein Heimatloser.
Inhaltsbeschreibung, ÖFilm
Rundfunkkritik zur Filmprmiere von
Ich bin mit meiner Angst allein am 2.3.1993 im BERLINER ENSEMBLE. Das gleichnamige Gedicht wurde von Hermann Beyer gelesen.
play (
Hinweis zur Wiedergabe audio-visueller Medien)
Peter Ferraro, RIAS Berlin, 3.3.1995
Vokzal - Bahnhof Brest \\ entdeckt 2014 ff.
Nicht das französische Brest, sondern dasjenige an der Grenze zwischen Weißrussland und Polen beherbergt den Bahnhof, der von Gerd Kroske und seinem Kameramann Dieter Chill in hinreißenden Schwarzweißbildern porträtiert wird. Ein Durchzugsort, ein Knotenpunkt, an dem sich die kleinen privaten Erzählungen mit der großen Geschichte verzahnen, die angelegentlich durch Archivmaterial von Sowjetzeiten und omnipräsenten Kriegsgräbern beschworen wird. So wechselhaft wie die Historie des Ortes, der im Lauf der Zeit zu diversen Nationen gehörte, sind auch der Duktus und die Hintergründe der Menschen und Situationen, die Kroske einfängt: von den ehemaligen Wehrmachtsoldaten aus Österreich (die über "bolschewistische Hetze" in der örtlichen Faschismus-Aufarbeitung klagen) zu den jungen Heavy-Metal-Fans, von unbeeindruckten Zollkontrolleuren zum singenden Taxifahrer. Ein pulsierender Mikrokosmos, mit majestätischer Ruhe betrachtet.
Filmprogramm zur Retrospektive
Gerd Kroske - Deutschlandbilder
im Filmmuseum Wien 2020
In Kroskes Filmen geht es weniger darum, eine Geschichte vollkommen zu rekonstruieren, als Bauten, Landschaften, städtische Milieus und Durchgangsorte in ihrer Geschichtlichkeit und in ihrer soziokulturellen Vielfalt und Widersprüchlichkeit zu erschließen. So wird etwa in Vokzal - Bahnhof Brest die technische, soziale und geopolitische Welt einer Grenzstation zwischen Polen und Belorußland präsentiert. Dieser Passagenraum wird nach und nach zum Gedächtnistheater umfunktioniert. Der Bahnhof nimmt damit eine memoriale Funktion ein, die sich zu Beginn schon durch besagten Film im Film − einen Bericht über den Transport deutscher Soldaten nach Sibirien − ankündigt. Wird der Anfang dieses Schwarzweiß-Films im Bewußtsein seines künftigen Archiv-Werdens zunächst in der Gegenwart seiner Dreharbeiten verankert, so gestaltet er sich gleichzeitig wie eine Hommage an Jürgen Böttchers Rangierer, nämlich als poetische Bewegungsstudie mit präzisen Schwenks, Fahrten und einem Augenmerk auf kleine Gesten der technischen Bediensteten.
aus dem Vorwort zur DVD-Edition Zeitzustände
von Christa Blümlinger
Was den Film auszeichnet sind seine Stilistik, seine getragene Schwarzweißfotographie und die beharrliche Ruhe, mit der sich der Film ins Grenzland zwischen schillerndem FAITS DIVERS und der GRANDE HISTOIRE bewegt.
Constantin Wulff, Neue Zürcher Zeitung, 31.3.1995
Nach und nach entsteht in ruhigem Erzählrhythmus ein Bild des Bahnhofs Brest als Ort, wo sich nicht nur Wege, sondern auch Zeiten kreuzen. Eine unverarbeitete Vergangenheit mischt sich mit einer aus den Fugen geratenen Gegenwart.
Susanna Nieder, Der Tagesspiegel, 20.4.1995
Der Bahnhof als Kontrapunkt zur Bewegung, als Station, als ruhender Pol. Von einem exzellenten Kameramann in Schwarz-weißbilder gefaßt von so edler Klarheit, so brillantem Glanz, daß man den Blick nicht abwenden mag.
Hans-Günther Dicks, Neues Deutschland, 20.4.1995
Eine leicht morbide Zeitstimmung hält die aus liebevoller Teilnahme erwachsenen Porträts zusammen. Kein schneller Fernseh-journalismus und gerade darum im Kino am richtigen Platz.
Hans-Jörg Rother, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.4.1995
Tödlicher Duft \ Kritik zum Film -
Tittelbach.tv (1995) \\
entdeckt 2016
"Was gibt es Schöneres, als in den Armen einer bezaubernden Frau zu sterben!?" Besser als sterben freilich wäre zu leben und diese Frau zu lieben. So jedenfalls sieht es der Held des romantischen Pro-Sieben-Thrillers "Tödlicher Duft". Ein unbedarfter Mister Durchschnitt, der in Hitchcock-Manier einer geheimnisvollen Schönen erliegt und den Sebastian Koch, ein Mann für alle Fernsehfälle, als deutscher Cary-Grant-Verschnitt gewohnt sympathisch verkörpert.
Es trifft ihn unvorbereitet, dafür "bis runter zum Magen". Es ist Liebe auf den ersten Blick, die jenen Robert, einen philosophisch kundigen Künstler mit der Lizenz zum Taxifahren ereilt hat. Auf der Flucht vor einem Killer stieg sie in seinen Wagen, gab ihm einen Auktionskatalog und eine Diskette, ein flüchtiger Blick - und schon war sie wieder draußen. Er mus die mysteriöse Unbekannte wiedersehen - nicht nur, weil diverse Dunkelmänner hinter ihr her sind und die Polizei sie für eine Mörderin hält. Bald ist auch noch die rumänische Botschaft im Spiel und von Giftgashandel die Rede. Doch Robert will nur das eine: die eine!
"Tödlicher Duft" fällt aus der Reihe der üblichen Pro-Sieben-Thriller. Weniger Action und Tempo, dafür mehr menschliche Wärme und größere Identifikationsdichte. Sebastian Koch als der deutsche Harrison Ford, zunächst brav gescheitelt und zugeknöpft bis zum Hals, trägt den Film. "Robert wächst über sich hinaus", so der Wahlberliner. "Er zeigt, daß in jedem noch so normalen Typen ein Held schlummert." Als allerdings zwischenzeitlich eine Doppelgängerin der Schönen auftaucht (oder spielt sie ihm was vor?), gerät der junge Mann emotional gehörig aus dem Tritt. "Diese magischen Momente des Zaubers zwischen zwei Menschen, diese Begegnung, die neue Welten eröffnet, die ewige Sehnsucht nach der anderen Hälfte von sich selbst - das sollte von vornherein für die Geschichte wichtiger sein als das Giftgas-Thema", betont Pro-Sieben-Redakteurin Bernadette Schugg. Der Spionageplot indes: ein einziger Hitchcockscher McGuffin Marke "Der unsichtbare Dritte", einzig und allein Vorwand für den finalen Kuß auf dem Dach einer Chemieanlage. Für Deutschland sei das etwas Besonderes. "Das romantische Motiv hat bei uns in Krimis keine Tradition."
Außer auf Sebastian Koch setzte die Produktionsfirma übrigens auf ein reines Ost-Team. So spielen Neuentdeckung Susanna Simon, Petra Kleinert als bodenständige Taxibraut ("Unser Lehrer Doktor Specht") und Kieling-Sohn Florian Martens ("Ein starkes Team") die tragenden Nebenrollen. Und für die auffallend atmosphärischen Bilder sorgten der Defa-erfahrene Jan Ruzicka ("Polizeiruf") und der preisgekrönte Kameramann Dieter Chill.
"Galera" nennen die jungen Franzosen aus Mantes-la-Jolie ihre alltäglichen Touren und spielen damit auf ein anstrengendes Leben mit Hindernissen an. Gerd Kroske hat sie und andere Jugendliche aus verschiedenen Ländern an ihren Lebensorten begleitet − Jugendliche, die am Rande der Gesellschaft ihren Weg suchen und in jeder Hinsicht "verwaist" sind. Die Abwesenheit der Erwachsenen ist längst ein alltäglicher Zustand, ob im russischen Kinderheim, der französischen Banlieue, einer brasilianischen Favela oder im Berliner Jugendarrest. Der Film stellt die gängigen Medienbilder der "Generation X" in Frage. Was üblicherweise bruchstückhaft durch Nachrichten und zweizeilige Meldungen präsentiert wird, erfährt man hier als sensible Annäherung an die Lebenswelten Jugendlicher in den Neunzigern.
aus der Inhaltsbeschreibung zur DVD-Edition Zeitzustände
'Wir tun nichts Bestimmtes, wir machen nie das Gleiche', sagen die Jungs aus Mantes-la-Jolie. 'Manchmal kann man gar nichts anfangen. Nur rumsitzen und traurig sein', so Wassja, Bewohner eines russischen Kinderhotels. Kroske schafft es, aus diesem Datenmaterial keinen Sozialkitsch zu komponieren. Er geht empirisch vor, verzichtet auf Dramaturgie und Spannung, stellt nur Gesichter, Situationen und Satz- und Musikfetzen. "Galera" zeigt den Rap als Ausdrucksform, in der sich schimpfen und klagen läßt, Techno-Raves und Disco-Parties als soziale Klammer, Spielen als Mittel der Selbsterkenntnis.
Barbara Heine, Berliner Zeitung, 26.3.1998
Die Bilder von den Rändern der Gesellschaft bergen eine brisante Fülle von aufschlußreichen Details: Alltagsbeobachtungen, Umgangs- und Ausdrucksformen, atmosphärische Skizzen. Aufmerksamen Zuschauern eröffnet sich ein weites Feld interpretatorischer Bezüge − von individuellen (Armuts-)Biografien bis zu (skandalösen) politischen Zustandsbeschreibungen. Doch Kroske ist ein dokumentarischer Purist. Keine kommentierende Silbe strukturiert seine weltumgreifende Momentaufnahme, die mit großer Geduld ihren Interviewpartnern lauscht, aber nicht tiefer in sie dringt, als diese es gestatten. Der fragmentarische Charakter der vielen Splitter und Einzelszenen resultiert aus einer Haltung der Achtung, erschwert aber eine analytische Durchdringung. Der Filmemacher gibt nicht vor, die Probleme von Wassja, Mohammed, Cesar und all den anderen 'verstanden' zu haben, bezahlt seine Position des (an-)teilnehmenden Beobachters aber mit eine gewissen Oberflächlichkeit: Beim ersten Sehen bleibt vieles unverstanden. Die 'Protagonisten' lassen sich nur vage identifizieren und wirken fremd; im Nachhinein wünscht man sich, daß man den einen oder anderen über eine ganze Filmlänge kennengelernt hätte.
Josef Lederle, Film-Dienst, 18/1998
Kehrein, Kehraus \ Material aus
DVD-Booklet \\
entdeckt 2014
Zu der ... Langzeitbeobachtung, die heute als Leipzig-Trilogie bezeichnet wird, gehört Kehrein, Kehraus. Kroske kommt hier sechs Jahre später zurück ins Leipziger Bahnhofsviertel, um dieselben Personen wiederzutreffen. Diesmal wird in Farbe gefilmt und nach der Veränderung über den verstrichenen Zeitraum hinweg gefragt ... (Der erste Film) wird nochmals in einem alten, ruinierten Kino projiziert ...; hier stellt sich wie nebenbei eine archäologische Verbindung zwischen Bahn und Kino her, wie zuvor schon in Vokzal - Bahnhof Brest, wo ebenfalls eine Filmvorführung auf vergangene Bewegungen verweist. (...) Kehrein, Kehraus verweist mit dem Vergleich der Arbeitsvorgänge aber auch auf den Wandel der Organisation der öffentlichen Reinigung, die nun in greller Arbeitskleidung als maschinengestütztes Kehren stattfindet. In langen Einstellungen erschließen sich Gesten und Körperhaltungen; deren soziale und technologische Bedingtheit wird im Zusammenspiel von Beobachtung, Gespräch und Rückschau erahnbar.
aus der Inhaltsbeschreibung zur DVD-Edition Zeitzustände
Hier verdichtet sich eine Ahnung, die bereits 'Kehraus' begleitete, zur Gewißheit: Ein Film kann zugleich unerbittlich sein und liebevoll. Gerd Kroske und seinem jeweiligen Team gelingt diese Gratwanderung.
Eva Neumann, Neues Deutschland, 12.5.1998
Kehraus, wieder \ Material aus
DVD-Booklet \\
entdeckt 2014
Die Protagonisten werden, sofern sie noch am Leben sind, in ihrem sozialen und familiären Umfeld erneut aufgesucht. Im Erinnerungsprozess treten nun strukturelle Wiederholungen und familiäre Muster hervor. Die Erkundung von Innenräumen ist dabei ... aufschlussreich. (...) Die Erfahrung von Unterdrückung und Einsamkeit scheint in Kadragen von langen Korridoren und kalten Zimmerfluchten auf, aber auch in der Dauer so mancher Einstellungen, in denen familiäre Erinnerungen zur Sprache kommen.
aus der Inhaltsbeschreibung zur DVD-Edition Zeitzustände
Mit ausdrucksstarken Szenen, die nicht nur die Hilfosigkeit der Beteiligten zeigen, sondern auch ein entmenschlichtes Bürokratiesystem freilegen, ist Gerd Kroske in seinem dritten Film in der Unentrinnbarkeit einer ausweglosen Gegenwart angekommen. Eine bessere Zukunft ist nicht in Sicht. Zu Wort kommen nun auch die Kinder und Enkel, die nicht anders können, als die Früchte ihrer Eltern zu ernten. ... Kehraus, wieder ist ein ehrliches Zeitdokument geworden, das über die Beschreibung eines Ist-Zustandes hinausgeht. Ein Arzt der Entzugsklinik erzählt ... vom Auseinanderklaffen gesellschaftlicher und persönlicher Fantasien. Im Grunde ist es genau diese Realitätslücke, die Kroske in seinen Bildern festgehalten hat.
Claudia Euen, Kreuzer, April 2008
Somit ist Kehraus, wieder mit seinen dunklen Wolkendecken nicht nur eine Zustandsbeschreibung aus Leipzig im Jahre 2006, sondern weitet sich zu einer soziologischen Studie über die Chancen in einer Gesellschaft, die Verlierer rigoros abschreibt und in der diese längst den Mut verloren haben, für ihre Sache zu kämpfen.
Hans Messias, Film-Dienst, August 2008
Die Kehraus-Trilogie ist trotz ungeheuer anrührender Einblicke in fremde Enttäuschungen und Wohnstuben frei von jeder Larmoyanz. Sie zeigt, wie klein und grau Arbeitslosigkeit die Menschen machen kann. Aber auch, mit welchen Anstrengungen, welcher Würde und Selbstkritik sich Kroskes Protagonisten gegen die drohende Verwahrlosung und Vereinsamung stemmen.
Birgit Glombitza: Katalog zur Filmreihe Deutschland, revisited II
(Die) Langzeitbeobachtung Kehraus hat wieder ein ähnliches Thema wie einige Spielilme von Ken Loach. Aber obgleich sich Loach bekanntermaßen dokumentarischer Techniken bedient, ist es für die Rezeption von Belang, ob die Protagonisten oder vielmehr: die sie verkörpernden Darsteller im nächsten Film in einer anderen Rolle auftreten können, oder eben − wie bei Kroske − nicht. Es beeinflusst die Wirkung, wenn man weiß, daß unter dem Gras, das bei Kroske buchstäblich über die Vergangenheit wächst, ein Toter liegt und nicht bloß eine Fiktion. Kroske versucht seinen Gestaltungswillen nicht zu verschleiern, aber sein Film bezieht einen Teil seiner Kraft, seine deprimierende Gesellschaftsanalyse, aber auch seinen Lebensmut aus seiner Authentizität.
Thomas Rothschild, titel-magazin, 11.11.2007
In Kehrein, Kehraus, the camera comes closer to its subjects. The film begins with Stefan holding a frame enlargement from the first film and stating that 'things were much better six years ago.' The diegetic harmonica score that marks the public space in the first film has become the non-diegetic score of the second film. The second and third films in the trilogy were shot by Dieter Chill and they differ in style from the first instalment. In Kehrein, Kehraus, the still compositions and slow pans that observed the street cleaners from a distance in the urban environment have given way to medium close-ups shot in private spaces. The poetic black-and-white frames have been replaced by colour images shot with a Super-16 camera. The camera visits all three protagonists in their lodgings and the filmmaker asks them questions about what life is like in this moment in time. The interviews follow the same strategy used in Kehraus, but whereas the filmmaker's soft voice was barely audible in the first film, his presence is more pronounced in the second.
Hella Hirsch und ihre Freunde \ Netzfund \\ entdeckt 2018
Hier wird die Geschichte einer Gruppe von jungen Juden im Berlin des Nationalsozialismus erzählt, und dabei beeindruckt auf der Tonebene besonders die Fülle an konkreten Informationen. (...) Das Bildkonzept ist dagegen sehr sparsam und stilisiert. In langen Einstellungen wird gezeigt, wie die Orte heute aussehen, an denen Hella Hirsch und der Widerstandskreis um Herbert Baum wohnten, sich trafen, ihren Brandanschlag ausführten, verurteilt und schließlich begraben wurden. Große Fotos, die in die alltäglichen Ansichten von Berlin gestellt wurden, verfremden diese und verwandeln die meist leeren Räume in Gedenkstätten, wobei die Filmemacher aber jeden Pathos vermeiden. Statt dessen wirkt ihr Film gerade durch seine Sachlichkeit und stilistische Strenge. Es geht in dem Film auch darum, wie lebendig die Vergangenheit in der Gegenwart noch sein kann. Wenn er auf der Bildebene so "leer" wirkt, dann liegt dies auch daran, dass es in der Stadt kaum noch Spuren von Hella Hirsch und ihren Freunden gibt. Wo einst der Volksgerichtshof war, in dem sie verurteilt wurden, steht heute das Sony-Center.
"Wir hatten das Gefühl, dass uns nie etwas passieren kann." Dieses Zitat findet sich in dem kurzen Film "Hella Hirsch und ihre Freunde" von Barbara Kaspers und Lothar Schuster, einem präzise und einfühlsamen Porträt der facettenreichen Gruppe. Die Dokumentation verzichtet auf Zeitzeugen, nichts wird nachgespielt. Man sieht meist statuarische Aufnahmen der Orte des Geschehens, vom Scheunenviertels, von der Gipsstraße, vom Lustgarten und vom Anhalter Bahnhof, von wo jüdische Freunde im letzten Moment emigrierten, vom Sony Center, wo früher Freislers Volksgerichtshof stand und das Todesurteil gegen Hella Hirsch gefällt wurde. Manchmal sind Fotos von Baum, Hirsch und anderen vor die Gebäude drapiert. Mehr Aktualisierungen gibt es nicht.
Stefan Reinecke: "Sie waren jung, jüdisch und links", taz, 3.3.2010
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